Der Direktor an sich

Berlin, 2003

Schon unsere erste Begegnung macht deutlich, nach welchen Regeln hier gespielt wird. Ich meine das durchaus positiv, zumal mir das Spiel nach Jahren meiner Arbeit mit Russland vertraut ist: Hierarchien strukturieren das Leben und die Arbeit, der Mann ist nach wie vor der Chef, und Anerkennung verdient man sich mit dem Alter. Kurz: Hier ist die Welt noch in Ordnung. So liegt der Fall auch mit Prof. Dr. Anatolij Andreevich Budko, seines Zeichens Oberst der Russischen Streitkräfte und Generaldirektor des Kriegsmedizinischen Museums in St. Petersburg.

Ganz nach den Regeln also nehme ich gerne das Angebot von Herrn Dr. Jahn an, mich zu avisieren, während Herr Budko als langjähriger Partner des Hauses in Karlshorst weilt. Der Generaldirektor zeigt sich angetan von unserem Ausstellungsprojekt „Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung“ und so vereinbaren wir einen Recherchetermin in Petersburg, dem selbstverständlich ein offizielles Anschreiben unseres Generaldirektors an ihn sowie das Verteidigungsministerium vorausgehen. So sind eben die Regeln.

Die Organisation der Reise verläuft erfreulich unkompliziert, Termine werden früh gemacht, rechtzeitig bestätigt, Wunschlisten per mail versandt. Auch vor Ort ist alles dank des allmächtigen Direktors aufs Beste geregelt. Ein Mitarbeiter des Hauses wird mir zugeteilt, macht Termine für mich bei den Sammlungsleitern, sorgt für regelmäßige Pausen, kopiert und scannt Fotos und Karteikarten. Als der Moment gekommen ist, begleitet er mich zum Vorzimmer des Generaldirektors zwecks Antrittsbesuch. Allein mit der Chefsekretärin, bittet sie mich Platz zu nehmen, greift zum Telefonhörer, um mich anzumelden. Selbstverständlich muss ich fünf Minuten warten. Sodann in dem riesigen, imposant möblierten Raum mit einem mächtigen Eichenschreibtisch geleitet mich der Direktor in Uniform zu einem kleinen Tisch unter dem Portrait Putins, wo ein Imbiss angerichtet ist. Wir nehmen Platz, der Generaldirektor greift zur mobilen Telefonstation, um die Sekretärin im Vorzimmer zu bitten, den Tee einzuschenken, der auf dem Tisch steht. Während sie ihm zwei Stücke Zucker in die Tasse tut, fragt sie auch mich, ob ich Zucker möchte, der ebenfalls auf dem Tisch steht. Erst als sich die doppelte, mit Leder bezogene Tür geschlossen hat, ergreift der Direktor das Wort. Er erkundigt sich, stets den Telefonhörer in der Hand, ob alles nach meinen Vorstellungen verlaufe, telefoniert immer wieder, um Anweisungen zu geben, lässt den für mich abgestellten Begleiter kommen, um auch ihm diese seine Wünsche noch mal einzuschärfen. Dann wie selbstverständlich die Frage, ob ich denn auch an mein Vergnügen gedacht hätte, wenn ich schon mal im sommerlichen Petersburg sei. Nein, keine Widerrede, von Montag bis Mittwoch werde zügig gearbeitet, Donnerstag und Freitag sei für Sightseeing vorgesehen. Als ich einfließen lasse, dass ich in der Tat nichts dagegen hätte, das Bernsteinzimmer zu besichtigen, sehen sich beide Herren bedeutungsvoll an und teilen mir geduldig mit, dass das im Jubiläumsjahr als unangemeldeter Einzelbesucher so gut wie unmöglich sei. Sprach’s, greift zum Telefon, bestellt ein Gespräch mit Leutnant X, das die Sekretärin sofort herstellt. Wie es der Gattin und den Kindern gehe? Und wie man einen Besuch des Bernsteinzimmers für einen Gast aus Berlin regeln könne. Ja, das habe er sich gedacht, Donnerstag dann also, um 10.00 Uhr am Seiteneingang. Und damit ich mich auch nicht verirre, regelt ein weiteres Telefongespräch meine Begleitung. Diese erzählt mir während unseres Ausflugs, wie sich die Arbeit im Museum verändert in den letzten fünf Jahren habe, seit Anatolij Andreevich als Direktor ans Haus gekommen sei. Was schon immer mal hätte getan werden müssen, nimmt er in Angriff, arbeitet selbst unermüdlich und hält seine Mitarbeiter auf Trab. Anders als früher, so die Leiterin der Ausstellungsabteilung, könne man jetzt nichts mehr nebenher machen, müsse regelmäßig anwesend sein und – das Schlimmste – dürfe nicht mehr bei der Arbeit rauchen. Aber ein „molodec“ sein er, der Direktor – ein Prachtkerl.

Zurück bei der Arbeit eilt der Direktor mit mir im Stechschritt durch mehrere Zimmer, deren aufgeschreckten Insassen er mich vorstellt und verschiedene Anweisungen erteilt. Niemand verzieht angesichts dieser natürlichen Ordnung der Dinge auch nur eine Miene, allein mein Begleiter zwinkert mir einmal fast unmerklich zu. Abschließend finde ich mich wieder im Vorzimmer der Chefsekretärin wieder, in Erwartung letzter wichtiger Informationen für unsere Kooperation. Was aber den Generaldirektor wirklich umtreibt, ist etwas anderes. Wie denn Modalitäten für die Einladungen nach Berlin seien. Aha, ein Kurier, was der denn für Aufgaben habe? So so, die Installation der Objekte. Aber das könnten doch unsere Restauratoren sicher auch alleine und das wiederum böte ihm die Möglichkeit, seine Tochter mit zur Eröffnung zu bringen…

Wie dem auch sei, mir war es wieder mal ein Vergnügen, ein neues Museum und andere Arbeitsweisen kennen zu lernen. Insgeheim wünsche ich mir eine Ausstellung über die Geschichte der Kriegsmedizin – die Kooperation mit dem Kriegsmedizinischen Museum in St. Petersburg wäre ein Vergnügen.

Titelfoto: Pixabay