Meine liebe Lisa,

April 2023
Elisabeth Karsten

Wanderungen in der Mark Brandenburg (2021)

Wir kennen uns seit über 50 Jahren. Eine lange Zeit, und doch viel zu kurz für Dein gesamtes Leben.

Unsere Wege haben sich in dieser Zeit immer wieder gekreuzt, wieder verloren und wieder gefunden.

Unsere Elternhäuser in Holzlar und Heidebergen lagen unweit voneinander entfernt. Es gab Zeiten, in denen haben wir uns oft besucht, dann waren andere Freundschaften wichtiger, aber aus den Augen verloren haben wir uns nie.

In diesen frühen Jahren waren wir – wir haben uns immer wieder schmunzelnd und etwas irritiert daran erinnert – gemeinsam in der Ballettschule.

Später sind wir auf dasselbe katholische Mädchengymnasium gegangen – und auch das haben wir schon in der Schule mit einer staunenden Distanz betrachtet.

Unser gemeinsamer Leistungskurs Geschichte mit seinem unkonventionellen Lehrer passte so gar nicht in das strenge und konservative Umfeld, was uns beide – mehr als unsere Mitschülerinnen – mit unserem Schicksal versöhnt hat.

Elisabeth Karsten

Geschichtsvermittlung im damaligen Bundeswehr-Schlafanzug, genannt „Auschwitz einfach“ (1985)

Während des Studiums und danach habe ich Dich in New York und Du mich in Minsk besucht. Von dort gibt es ein sehr schönes Foto von uns, jeweils gekleidet und ausgestattet in unseren Lieblingsfarben lila und orange, die nebeneinander furchtbar aussehen und zugleich für uns so stimmig waren.

Vor fast 20 Jahren wurde Niels ein Teil unserer Freundschaft. Wie manch anderer Mitmensch hat er gestaunt, wie anders Du auf die Welt geschaut hast und doch für sich erkannt und erspürt, welche Bereicherung das ist. Er ist und bleibt – das konnte er Dir noch im Krankenhaus mit dem Kleinen Prinzen sagen – auf ewig Dein Freund.

Gerne teilen wir bis heute eine Geschichte, die Du uns erzählt hast, nachdem Du einmal in Deiner Wohnung im Prenzlauer Berg einen Notarzt rufen musstest.

Nachdem der Arzt Dich nach einem Schwächeanfall wieder auf die Beine gebracht und Deine Koordinaten aufgenommen hat, hat er – ohne jede Verwunderung – konstatiert: Sie sind am 22.11.66 in Adis Abeba geboren. Und Ihr Flur ist knallrot gestrichen. Sie sind eine Hexe.

Und weil er schon mal da war und Du wieder fit, hast Du gleich IHN behandelt, so dass er tief zufrieden von dannen gezogen ist.

Liebe Lisa,

Ich werde Dich jeden Tag vermissen, auch wenn Du gar nicht weg bist. Trotzdem freue ich mich, dass es einen Ort auf dieser Welt geben wird, an dem ich Dich besuchen kann, bevor wir uns in einer anderen Welt wiedersehen. Dieser Ort ist der Ruheforst Nauen, ganz bei uns in der Nähe von Alt-Brieselang – ein wilder Wald, der Dir mit Sicherheit gefallen wird. Wir sehen uns dort.

Ich wünsche Dir eine inspirierte und phantastische Reise!

Deine Kristiane