„Der blinde Pilger“/"Der Blinde", 01_025
1895, Öl auf Leinwand, 300x200 cm

In Russland liegen die Wurzeln der künstlerischen Laufbahn von Robert Büchtger. Nach eigenen Angaben begann seine Ausbildung noch im Kindesalter in der Zeichenklasse der „St. Petersburger Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste“, bevor er 1879 bereits in der Akademie der Künste mit der Malerei begann, u.a. bei Ilja Repin, Ivan Šiškin, Gavril Kondratjenko und Vladimir Orlovskij.

Insbesondere sein Frühwerk ist geprägt von russischen Motiven: Bauern, Landschaften, Architektur. Ein besonderes Thema waren weiterhin seine Eindrücke aus verschiedenen Reisen in den Kaukasus, die er in den 80er und 90er Jahren mit Kondratjenko unternahm. Büchtger schuf in dieser Zeit viele Werke im Stil der „Peredvižniki“ („Wandermaler“), einer russischen Künstlergruppe, die in den 70er und 80er Jahren in Opposition zu der Kunstakademie Petersburg Wanderausstellungen organisierte und sich thematisch dem Leben des einfachen Volkes in den Städten und auf dem Land sowie russischen Traditionen zuwandte.

Aber auch nach seiner Übersiedlung nach Deutschland kam Büchtger in seinen Arbeiten immer wieder auf seine Zeit in Russland zurück, wenngleich russische Motive in der zweiten Hälfte seiner Schaffenszeit in den Hintergrund traten.

Ein einzigartiges Beispiel für den Einfluss der Peredvižniki auf das Frühwerk Büchtgers ist das Gemälde „Der Pilger“ (weitere Titel: „Der Blinde“, „Der blinde Pilger“), von dem Büchtger verschiedene Versionen gemalt hat. Aufgrund der Ähnlichkeit von Titel und Dargestelltem ist eine exakte Differenzierung der Versionen und ihrer genauen Anzahl schwierig.

Die erste Fassung wurde 1894 unter dem Titel „Strannik“ (Wanderer) in der Akademie der Künste in Petersburg ausgestellt und anschließend vom Stadtmuseum Stettin gekauft (Brief Büchtgers, München, 21.11./8.12.1905 an die Akademie der Künste in Petersburg, RGIA, f. 789, d. 51B, l. 4). Angaben des Gemäldes über den Standort Stettin unter dem Titel „Russischer Pilger“ finden sich bei: Dresslers, Martersteig, Thieme-Becker, Müller/Singer. Die Gemälde aus Stettin wurden 1945 nicht nach Westen ausgelagert. Ob sich das Gemälde noch in Stettin befindet oder im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen zerstört wurde, konnte nicht ermittelt werden.

Ebenfalls in Petersburg an der Akademie zeigte Büchtger 1895 das Gemälde „Der Blinde mit dem Kind“. Zur selben Zeit zeigte er im Glaspalast München 1894 die Arbeiten „Ein russischer Pilger“ und 1895 „Blind“ sowie 1902 in Danzig „Der blinde Pilger“ und 1920 im Salon Röhrig, München, „Der Pilger“. Eine Version befindet sich heute nachweislich in einer deutschen Privatsammlung. Diese ist u.a. in Elberfeld, Dresden, Stettin, Lübeck, Rostock und Stralsund gezeigt und vermutlich zum Verkauf angeboten worden. Vom 18.10.2017 bis 15.4.2018 wurde das Gemälde in der Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums „1917. Revolution. Russland und Europa“ in Berlin gezeigt und dafür aufwendig restauriert.

„Ein Anderer, dessen Arbeit wir im gleichen Saale finden, der Deutschrusse Robert Büchtger zeigt in seinem grossen Tableau «ein russischer Pilger», dass er einen mächtigen Schritt nach vorwärts gethan und sein Talent in schönem Maasse geklärt hat. Die nasse Regenlandschaft, deren unsägliche Trostlosigkeit uns wie eine Darstellung des heurigen Sommers anmuthet, ist prachtvoll gestimmt, so feucht, kalt, stürmisch sieht die öde Landschaft aus, durch welche der Pilger auf durchweichter Landstrasse schreitet, dass man die Szenerie nur mit Frösteln betrachten kann, zumal, wenn oben der Regen auf das Dach des Glaspalastes niederklatscht. Vorzüglich passt in dieses Milieu die Staffagefigur des in stumpfer Ergebung dahinstapfenden Moskowiters.“

(Fred Walter: Münchner Jahres-Ausstellung im Glaspalaste 1894. In: Franz Hanfstaengl: Die Kunst unserer Zeit. Eine Chronik des modernen Kunstlebens. München 1894, S. 49/50)

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